Das lange Dritte Reich – Kontinuitäten von Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik zwischen der Weltwirtschaftskrise und den 60er Jahren

Das lange Dritte Reich – Kontinuitäten von Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik zwischen der Weltwirtschaftskrise und den 60er Jahren

Organisatoren
BMBF-Verbundprojekt „Gestaltung der Freiheit – Regulierung von Wirtschaft zwischen historischer Prägung und Normierung“, Georg-August-Universität Göttingen; Zentrum für Historische Grundlagen der Gegenwart, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; London School of Economics
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.03.2012 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Maier-Rigaud, Institut für Geschichtswissenschaft/Zentrum für Historische Grundlagen der Gegenwart, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Das interdisziplinäre Verbundprojekt „Gestaltung der Freiheit – Regulierung von Wirtschaft zwischen historischer Prägung und Normierung“ an den Universitäten Bonn, Göttingen und der LSE wird seit Mai 2009 vom BMBF gefördert. Es hat sich die Erforschung von Regulierung in ihrer ökonomischen, juristischen sowie rechts- und wirtschaftshistorischen Dimension zum Ziel gesetzt. Die Tagung zum Thema „Das lange Dritte Reich – Kontinuitäten von Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik zwischen der Weltwirtschaftskrise und den 60er Jahren“ war der letzte von fünf Workshops, die im Rahmen des Projekts durchgeführt wurden. Die Tagungsbeiträge näherten sich aus wirtschaftshistorischer Perspektive der Frage, ob und in welcher Weise wirtschaftspolitische Strukturen des „Dritten Reiches“ bis in die bundesrepublikanische Geschichte fortbestanden.

Zum Auftakt der Tagung richtete ALBRECHT RITSCHL (London) in seinem Beitrag „Das lange Dritte Reich: Wie bedeutsam sind die Strukturbrüche in der Wirtschaftsordnung?“ den Blick auf Kontinuitäten von Regulierungsnormen und -politik im und nach dem „Dritten Reich“. Ritschl stellte die These in Frage, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Ordoliberalismus ein wirtschaftspolitischer Neuanfang stattgefunden habe. Vielmehr sei 1948 weitgehend auf eine „Reservewirtschaftsordnung“ aus den 1930er-Jahren zurückgegriffen worden. Anhand von Beispielen aus der Bankenordnung, der Handwerksordnung und der Personen- und Güterbeförderung zeigte Ritschl, dass zwar zunächst die Absicht bestanden hatte, wirtschaftspolitische Strukturen zu zerschlagen, jedoch die Regelungen aus den mittleren 1930er-Jahren zu großen Teilen erneut in die Gesetzgebung der 1950er-Jahre zur Ausfüllung der Ausnahmebereiche des GWB eingegangen seien. Im Ergebnis sei eine hybride Wirtschaftsordnung aus marktwirtschaftlichen Residuen der Weimarer Zeit und dem gelenkten Bewirtschaftungssystem der NS-Diktatur entstanden.

CHRISTOPHER KOPPER (Bielefeld) regte an, Reformen der Wirtschaftsordnung nicht ausschließlich im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel zu begreifen, sondern einen problemorientierten Zugriff zu wählen. Er stellte die These eines „langen Dritten Reichs“ in Frage und argumentiert in seinem Beitrag „Bahn und Bank im Wirtschaftswunder: Zwei Ausnahmebereiche des GWB“, dass in einigen wirtschaftspolitischen Bereichen vielmehr von einer „kurzen Weimarer Republik“ gesprochen werden müsse. Insgesamt sei die Frage nach historischen Kontinuitäten differenziert zu betrachten. So sei das Kreditwesengesetz von 1934 ein systemneutrales Gesetz gewesen, dem substantielle Bezüge zur NS-Diktatur fehlten. Entsprechend könne nicht von Kontinuitäten zum „Dritten Reich“ die Rede sein. Im Verkehrswesen hingegen habe 1924 ein relativ liberales Gesetz vorgelegen, das in den 1930er-Jahren einer monopolistischen Ordnung wich, die in die Bundesrepublik hineinwirkte.

NIELS KRIEGHOFF (Bonn / London) ging in seinem Vortrag über „Die schwere (Wieder-)Geburt des Kreditwesengesetzes von 1961“ der Frage nach, warum das Kreditwesengesetz von 1961 in den wichtigsten Grundzügen dem Kreditwesengesetz von 1934 ähnelte, obwohl das Bankensystem nach Ende des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten reformiert wurde. Anhand von Ministerialakten zeigte Krieghoff, dass das Kreditwesengesetz von 1961 in enger Absprache zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und den Bankenverbänden ausgearbeitet wurde. Diese Zusammenarbeit sei weiter dadurch begünstigt worden, dass auf beiden Seiten personelle Kontinuitäten bestanden. Zudem sei 1952 die Zuständigkeit in den Bereichen Geld und Kredit vom Finanzministerium auf das Wirtschaftsministerium übergegangen. Auch dies habe sich darauf ausgewirkt, dass das Kreditwesengesetz von 1961 den grundsätzlichen Charakter des Kreditwesengesetzes von 1934 beibehielt.

Inwieweit auf der Ebene der ökonomischen Ideengeschichte ebenfalls von Kontinuitäten gesprochen werden kann, erörterte KATJA FUDER (Bonn / London) in ihrem Beitrag zum Thema „Regulierung? Nein danke! Deutschlands gemeinwirtschaftlicher Sonderweg“. Nach einem einleitenden Überblick über die Entwicklung der Mainstream-Ökonomie argumentierte Fuder, dass von den 1920er-bis zu den 1960er-Jahren eine dogmenhistorische Kontinuität wahrzunehmen sei. Die für die deutsche Ideengeschichte spezifische Gemeinwirtschaftslehre, die für einen paternalistischen Staatsinterventionismus plädierte und damit eine Verzahnung sozialistischer und kapitalistischer Ideen anstrebte, entsprang der Wirtschaftssystemdebatte Anfang des 20. Jahrhunderts und habe bis in die 1960er-Jahre auch maßgeblich den Regulierungsdiskurs bestimmt.

Anschließend stellte MARK SPOERER (Regensburg) die These zur wirtschafts- und ordnungspolitischen Kontinuität nach dem Ende des Dritten Reichs erneut in Frage. Die Legitimation keynesianischer Globalsteuerung in der Bundesrepublik sei nicht auf ein Vermächtnis des Nationalsozialismus zurückzuführen, sondern auf ein Catching Up der Wirtschaft in der Nachkriegszeit, das sich in hohen Wachstumsraten niederschlug. Die Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung der Bundesrepublik sei von Beginn an kapitalistisch geprägt gewesen. Zwar datierten einige ordnungspolitische Regulierungsvorschriften aus den 1930er-Jahren, es sei jedoch fraglich, ob diese in der Praxis relevant geworden seien. Entsprechend schlug Spoerer vor, die Systeme entlang der Kriterien Konsumenten- und Produzentensouveränität zu vergleichen. Hieraus ergäben sich deutliche Kontinuitäten zwischen Weimar und der Bundesrepublik. Grundsätzlich sei die Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik deutlich stärker durch verfassungsrechtliche und politische Fragen geprägt, als durch wirtschaftordnungspolitische Residuen der NS-Zeit.

Abschließend forderte JAN-OTMAR HESSE (Bielefeld) in seinem Beitrag „Ordnungstheorie und Ordnungspolitik. Zwei Ebenen wirtschaftpolitischer Kontinuität“ eine konsequentere analytische Trennung zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sowie vor allem die Untersuchung ihrer wechselseitigen Verhältnisse. Auf der Ebene der Ordnungspolitik ergäben sich zu allen Zeiten Probleme, die zunächst einmal ganz unideologisch einer Lösung bedürften. Die Ordnungstheorie hingegen gebe das wider, was die Menschen sich als effektive Lösung vorstellten. Mit einem Blick auf die Bereiche der Devisenbewirtschaftung, der Regulierung von Landwirtschaft, und dem Wohnungsmarkt zeigte Hesse, dass sich von der Weimarer Republik bis in die Bundesrepublik zahlreiche ordnungspolitische Leitgedanken fortsetzten. Letztlich habe es auch zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik zahlreiche personelle Kontinuitäten gegeben.

Die Tagung leistete einen Beitrag zur Diskussion um die Frage, ob und inwieweit die Wirtschaftsordnung (West-)Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachhaltig durch das System des „Dritten Reichs“ geprägt gewesen ist.

Konferenzübersicht:

Albrecht Ritschl (London): Das lange Dritte Reich: Wie bedeutsam sind die Strukturbrüche in der Wirtschaftsordnung?

Christopher Kopper (Bielefeld): Bahn und Bank im Wirtschaftswunder: Zwei Ausnahmebereiche des GWB

Niels Krieghoff (Bonn / London): Die schwere (Wieder-)Geburt des Kreditwesengesetzes von 1961

Katja Fuder (Bonn / London): Regulierung? Nein danke! Deutschlands gemeinwirtschaftlicher Sonderweg

Mark Spoerer (Regensburg): Das kurze Dritte Reich: zur Frage der Kontinuitäten nationalsozialistischer und bundesrepublikanischer Wirtschaftsordnung und –politik

Jan-Otmar Hesse (Bielefeld): Ordnungstheorie und Ordnungspolitik. Zwei Ebenen wirtschaftspolitischer Kontinuität


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts